Presseerklärung des Landgerichts Zweibrücken vom 25. April 2016

Das Landgericht Zweibrücken öffnet am 29. und 30. April sowie am 1. Mai 2016 seine Türen für 3 Theateraufführungen der Theater AG des Hofenfels-Gymnasiums in Zweibrücken im Sitzungssaal 1 des Gerichts. Die Theatergruppe erarbeitete unter Leitung der Lehrerin Camilla Sternheim sowohl den Text als auch die Aufführung eigenständig. Die Erzählung „Illuminaten“ von Bodo von Schirach diente der Gruppe als Grundlage für die Erarbeitung ihres Theaterstücks, dem sie den Titel, „Schuld“, gaben. Es kam zu einer  Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern des Landgerichts und der Theatergruppe.  Gemeinsam wurden die Voraussetzungen erarbeitet, um aus  einem Sitzungssaal einen Theatersaal zu machen. Richter des Landgerichts haben während der Proben, mit den Schülern den Ablauf einer Hauptverhandlung im Strafverfahren besprochen.

Frau Sternheim schreibt über die Arbeit der Theatergruppe:

 

„SCHULD UND GERECHTIGKEIT

 

ANLASS

Der Präsident des Landgerichts Zweibrücken, Herr Gietzen, regte eine Kooperation mit den Zweibrücker Schulen an. Die Schüler der Theater-AG des Hofenfels-Gymnasiums waren interessiert, als ich ihnen von diesen Plänen erzählte. Es entstand die Idee, ein Stück zu entwickeln, das sich mit den Themen Schuld, Recht und Gerechtigkeit befassen sollte.

 

STÜCKFINDUNG

Viele Bücher und Stoffe wurden in der Gruppe vorgestellt und diskutiert, u.a. Klassiker wie „Der zerbrochene Krug“, aber auch der Film „Dekalog“ von Kieslowski. Irgendwann stießen wir auf die Bücher von Ferdinand von Schirach, der selbst als Rechtsanwalt arbeitet und dessen Texte auf Fällen aus seiner Praxis basieren. Seine Bücher überzeugten uns. Nun beschlossen wir, einen der Schirach-Texte auszuwählen. Bei der Auswahl des Stoffes stand im Vordergrund, wo die Begriffe Schuld, Recht und Gerechtigkeit in der Lebenswelt der Jugendlichen zu finden sind. Es ging darum, etwas zu finden, womit sich jeder identifizieren kann, weil er es selbst auch schon einmal erlebt, sich selbst schon einmal in irgendeiner Form damit befasst hat. So kamen wir zu der Erzählung „Die Illuminaten“. Unser Stück entwickelten wir aus dieser Erzählung, die wir dem Buch „Schuld“ entnahmen.

 

INHALT

Ein verstörendes und zugleich bedrückendes Thema: Henry, ein Außenseiter, lebt in einem Internat. Während seiner gesamten Schulzeit wird er von der Gemeinschaft ausgeschlossen, obwohl er doch so gern dazugehören möchte. Eine Gruppierung, sie selbst nennt sich die „Illuminaten“, scheint ihm diese Chance zu bieten. Als „Aufnahmeprüfung“ muss er sich, so wird es von den anderen bestimmt, einem Exorzismus unterziehen. Er selbst ist der Meinung, diesen Exorzismus „verdient“ zu haben, er sehnt ihn geradezu herbei. Henry wird also stranguliert. Das plötzliche Auftauchen einer Lehrerin verhindert seinen (von den Mitschülern fast fahrlässig herbeigeführten) Tod. Die Lehrerin selbst - die Kette der Ereignisse wird immer unglaublicher und brutaler - stürzt dabei vor Schreck unglücklich und stirbt. Henry selbst überlebt.

 

INTENTION UND ENTWICKLUNG

Wir diskutierten, was wir mit unserem Stück zeigen möchten. Es ging uns nicht primär um die Darstellung von Gewalt, auch nicht darum, klar zu entscheiden, wer Schuld an allem ist, sondern vielmehr um die Frage, „Wie konnte das passieren?“. Unsere selbst geschriebenen Szenen lassen auch die Eltern, Henrys einzigen Freund, die Mitschüler und die Illuminaten, die eigentlichen „Täter“, zu Wort kommen. Die theatrale Arbeit bot dabei den Schülern die Möglichkeit, Rollen einzunehmen und zu erproben, die sie im „echten Leben“ nicht haben - und vielleicht auch nie haben möchten. Die Arbeit am Text war hier ganz wichtig - insbesondere, wenn ein Stück von einer Gruppe selbst geschrieben wird, wie das bei uns der Fall war. Leerstellen mussten aufgespürt und mit Inhalt gefüllt werden. Eine Einfühlung in die Figuren musste geleistet werden. Das Theater ermöglichte den Schülern, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen und eine Haltung dazu zu entwickeln. Letztendlich entwickelten wir im Verlauf des Probenprozesses gemeinsam den Satz „Wir wollen mit unserem Stück zeigen, wie schwierig es ist, seinen Platz in der Welt zu finden.“. Somit ist das Thema des Stückes übertragbar auf die Lebenswelt der Jugendlichen. Es ist „normal“, dass es in jeder Gruppe bestimmte Rollenverteilungen gibt: Es gibt die „Streber“, die Beliebten, die Angesehenen, die „Nerds“, die Coolen, die Einzelgänger, die Mitläufer …. (diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen) und eben auch die Außenseiter. Psychologisch interessant ist, dass die eigene Rolle je nach Gruppe sehr unterschiedlich sein kann. Der Außenseiter z.B. ist durchaus nicht immer der Außenseiter. Henry, der Außenseiter in unserem Stück, wird demnach auch von zwei Spielerinnen und einem Spieler verkörpert. Ein Zeichen dafür, dass es eben jeden treffen kann. Welche Rolle man innerhalb einer Gruppe einnimmt, das bestimmt nicht man selbst, sondern das bestimmen die anderen.

 

SCHULD

Und dann schließt sich hier natürlich die Frage nach der Schuld an: Wer trägt die Schuld daran, dass die Lehrerin sterben muss und Henry nur durch einen Zufall gerettet wird? Sind es die Illuminaten, die den Exorzismus durchführen? Auch sie sind getrieben von dem Wunsch, dazu zu gehören und ihren Platz im Leben zu finden; eigentlich genau wie Henry. Außerdem sind sie auf Grund ihres jugendlichen Alters nicht voll schuldfähig. Sind die Eltern Schuld, die den Jungen gegen seinen Willen im Internat anmelden? Sind es die Lehrer und die Schulleiterin, die offenbar etwas „übersehen“? Wenn Recht gesprochen wird, dann interessieren sich die Menschen immer für die Frage nach der Schuld. Sie möchten wissen, wer Schuld hat. Und schnell bildet man sich eine Meinung. Doch, wie Ferdinand von Schirach formuliert: „Die Schuld eines Menschen ist schwer zu wiegen. Wir streben unser Leben lang nach Glück. Aber manchmal verlieren wir uns und die Dinge gehen schief. Dann trennt uns nur noch das Recht vom Chaos; eine dünne Schicht aus Eis, darunter ist es kalt und man stirbt schnell.“ Den Rahmen unseres Stückes bildet die Gerichtsverhandlung, bei der über die Schuld befunden werden soll. Natürlich ist uns bewusst, dass die von uns entwickelte Verhandlung einer juristischen Überprüfung nicht standhalten würde. Wir alle sind auf diesem Gebiet Laien und unsere Vorstellungen sind gespeist aus verschiedenen Quellen, beispielsweise aus Filmen, die diesbezüglich nicht unbedingt als seriös bezeichnet werden können. Hier möchten wir die künstlerische Freiheit für uns in Anspruch nehmen. Wir haben die Norm verändert, um unsere Aussage klarer herausarbeiten zu können.

Camilla Sternheim“

 

Uwe Fischer (Vizepräsident und Medienreferent des Landgerichts)

 

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